Foto von Willi Lippens

Was freu ich mich auf mein Bier, wenn die Spinner weg sind.

Idole

Lippensbekenntnisse — von Willi aus Essen

Gespräch und Text: Matthias Dreisigacker

„… Das ist ja auch das Absolute, wenn die Schulmeister ihre Zettel ziehen, absoluter Blödsinn. Wenn ich den Lienen sehe. Was notiert der sich denn da? Dass der Spieler frei zum Schuss kommt beim Elfmeter, warum den keiner stört? Panne, was den Leuten da verkauft wird…“

Die erste Verabredung platzt. Der Hausherr verweilt zur verabredeten Stunde auf Schalke zum Spiel gegen Stuttgart. Ist die ehemalige Sturmikone von RW Essen und Borussia Dortmund etwa zu den verhassten Schalkern übergelaufen? Schon reiben wir uns bei dem Gedanken die Hände wund, mit wie viel Pils wir uns das Versprechen, diesen Verrat zu verschweigen, abkaufen lassen sollen. Doch Lippens gelingt es elegant, nicht zwischen finanziellem Ruin und wütendem Essener und Dortmunder Mob, der sein Landgut in Schutt und Asche legt, entscheiden zu müssen. Spontan vorbeikommende Bekannte aus Stuttgart, ein altes Versprechen, das erste Mal auf Schalke. Und überhaupt, das mit den Logen hat ja mit Fußball nichts mehr zu tun, alles kommerziell und amerikanisiert - und die Fahnenschwenker haben ja eh einen „am Apfel“. Kein Zweifel, der Mann hat recht und wir ziehen den angedachten Handel alsbald zurück. Was wir im weiteren bedauern sollten. Denn der erfolgreiche und mit sich zufriedene Gastronom versagt sich dem Klischee des unmäßigen, einem frischen Pils nie abgeneigten Ruhrpottheroen und fordert den irritierten Besuchern ein unbarmherziges, asketisch duldsames Verharrungsvermögen ab. Während des gesamten Gesprächs bleiben die Aschenbecher draußen der frühherbstlichen Dämmerung ausgesetzt, werden die Besucher hartnäckig auf Flüssigkeitsentzug gesetzt. Respekt, denkt man sich, der gelernte Bankkaufmann hält sein Vermögen zusammen.

„Ich komme zurecht, mir geht's gut. Natürlich hätte ich ein paar Millionen mehr haben können, aber Vereinstreue wird nicht belohnt. Wenn man keinen Beruf hat, muss man halt sehen, dass man vorher ausgesorgt hat. Es ist ja auch schwer, wenn man anfängt Fußball zu spielen — man lebt. Und wenn man, wie ich nach 17 Jahren Fußball, zurück in den alten Beruf möchte, ist das totaler Quatsch, da braucht man gar nicht erst anzufangen. Aber der Durchschnittsfußballer hat und hatte es schwer. Mir ist es ja ganz gut gelungen. Es ist natürlich auch so, dass das Investieren des Geldes nicht ganz so einfach ist. Ich hatte es ja „gelernt“, mit Geld umzugehen und habe lieber ein Haus gekauft. Obwohl ich auch Geld verloren hatte — mit einem Fonds. Man muss sich das so vorstellen. Der Erich Ribbeck war damals bei uns Trainer. Dem Trainer hat man ja damals geglaubt, eine absolute Respektsperson. Nach dem Training steht der da und sagt „Macht das mal“ — und dann macht man das halt. Nur 20% können in der aktiven Zeit genügend Geld zurücklegen, die anderen müssen dann halt noch malochen.“

Bundesliga-Skandal? — „Das ist ganz natürlich, überall wo es um viel Geld geht.“

Dem Boulevard konnte der bodenständige Lippens nicht mit einem skandalträchtigen Absturz dienen - im Gegensatz zu manch ehemaligem Mannschaftskameraden. So Erwin Kostedde, erster farbiger Nationalspieler beim DFB und in den Siebzigern begnadeter Torjäger u.a. bei den Offenbacher Kickers, Hertha BSC und gemeinsam mit Lippens beim BVB.

„Der Erwin war immer ein Bruder Leichtfuß, hat immer geglaubt, was man ihm gesagt hat. Ich war der einzige, der sich um ihn gekümmert hat. Nicht nur finanziell, sondern auch im persönlichen Umgang — wie damals, als er in der Psychiatrie war, weil man ihm dieses Ding mit dem Raubüberfall unterschieben wollte. Das war eine schlimme Geschichte, wie er da neben Napoleon und anderen psychisch Gestörten untergebracht war. Ich habe ihm auch danach noch geholfen. Aber er hat sich dann irgendwann nicht mehr gemeldet. Ich weiß auch gar nicht, wo er jetzt ist. Er wollte sich nicht helfen lassen. Ich hatte ihm seinerzeit auch angeboten hierher zu ziehen, er hätte auch arbeiten können. Er war immer ein prima Kumpel und ich würde ihm auch jetzt noch helfen. Wissen Sie, was er jetzt macht?“

Nein, wissen wir leider auch nicht.

An den großen Skandalen seiner Laufbahn war Lippens nur staunender Zuschauer, wie beim so genannten Bundesliga-Skandal…

„Was heißt hier überrascht, natürlich wurde hier und da gemauschelt. Das war ja ein offenes Geheimnis. Am Schluss wurde halt alles versucht, die Klasse zu erhalten. Das ist ganz natürlich, überall wo es um viel Geld geht. Beim Pferderennen, im Beruf, man sieht die Korruption ja überall. Für einen wie Klaus Fischer war es halt die Verführung gewesen, ach Gott, es ging, glaub‘ ich, um 3000 Mark. Schwarzes Geld, mal schnell auf dem Marktplatz, hopp-hopp — ich kann das für mich entscheiden (…), ich hätte es sehr wahrscheinlich nicht gemacht. In der Gruppe, mit Kumpeln - ich weiß es nicht. RWE war damals ja insoweit betroffen, dass wir deshalb abgestiegen sind. Aber man hatte ja keine Handhabe und musste es so nehmen. Der Verein hatte die Mannschaft dann zusammengehalten und wir sind ja auch wieder aufgestiegen.“

…oder beim Dortmunder 0:12 beim Bundesliga-Finale 1977/78 gegen Borussia Mönchengladbach.

„Ich saß auf der Bank. Das ist eine Geschichte, die ist ganz normal abgelaufen. Da passte alles an dem Tag. Der Heynckes hat in den ersten 20 Minuten viermal auf's Tor geschossen und der Ball war viermal drin. Es war ja auch nur ein Jubel, der Schiedsrichter und die Linienrichter mussten ja aufpassen, dass sie nicht mitjubeln. Für uns war es das natürlich nicht. Der Rehhagel wurde danach entlassen, unser Torwart, der Peter Endrulat, stand danach nie wieder in einem Bundesligator. Alle waren frustriert, aber es war nichts abgesprochen. Gott sei Dank hat es Köln dann mit dem 5:0 gegen St. Pauli doch geschafft. Das wäre eine Schweinerei hoch drei gewesen. Aber es passte wirklich alles. Der Siggi Held verletzt, ich verletzt, der Stammtorwart Horst Bertram auch. Ich wollt‘ gar nicht mehr eingewechselt werden, was sollte ich denn da?“

„Kokolores, wenn man immer wieder von einstudierten Spielzügen hört.“

Nun, auch hier können wir nicht helfen.

Aber das Spiel wäre bestimmt noch lustiger geworden. Legendär der Dialog mit einem Schiedsrichter, der die Gelbe Karte mit den Worten „Ich verwarne Ihnen“ zu unterstreichen verstand. Lippens hierauf kurz und knapp: „Ich danke Sie!“. So viel Schlagfertigkeit honorierte der Mann in Schwarz sogleich mit der roten Karte.

„Der Schiedsrichter hat sich nie mehr gemeldet. War ja auch ein bisschen peinlich. Und dass ich dafür zwei Wochen Sperre bekommen habe, war natürlich auch Scheiße.“

Da kann man nicht widersprechen. Und wie war das mit Otto Rehhagel, 1976-78 Lippens‘ Trainer bei Borussia Dortmund, damals noch weit entfernt von Bremer Macht und griechischer Herrlichkeit?

„Er passte in die Provinz — Bremen, Kaiserslautern. Böse Zungen behaupten ja, er wäre mit den Griechen nur Europameister geworden, weil die ihn nicht verstanden haben. Der Netzer hat recht, der lässt wie vor 30 Jahren spielen. Er hat sich nicht weiterentwickelt, das steht hundertprozentig fest. Wie ich Ausschnitte aus dem Training gesehen habe, wie der Gymnastik macht, kein Stretching. Auf der anderen Seite hatte er Erfolg, und es spricht ja auch nicht für die hochdotierten Spieler, dass man dieses System, das wir ja auch vor 30 Jahren gespielt haben, nicht schlagen kann.“

Lippens war seinerzeit ein trickreicher Linksaußen (Sepp Maier: „Es gab keinen besseren! Der technisch beste Stürmer, den die Bundesliga je hatte.“), der taktische Vorgaben ebenso zu ignorieren verstand wie Udo Lattek ein gutes Glas Wasser.

„Ich denke, dass der Taktik viel zu viel Gewicht beigemessen wird. Die Taktik ist spätestens dann hinfällig, wenn ein, zwei Tore gefallen sind. Kokolores, wenn man immer wieder von einstudierten Spielzügen hört. Du kannst keine Spielzüge in ein laufendes Spiel einbauen, das geht einfach nicht. Standardsituationen, die kannst Du einstudieren, aber wenn der Ball in Bewegung ist, dann kannst Du nichts machen — das Spiel läuft! Alles totaler Blödsinn, alles totaler Quatsch… Das ist ja auch das Absolute, wenn die Schulmeister ihre Zettel ziehen, absoluter Blödsinn. Wenn ich den Lienen sehe. Was notiert der sich denn da? Dass der Spieler frei zum Schuss kommt beim Elfmeter, warum den keiner stört? Panne, was den Leuten da verkauft wird. Man kann im Fußball nichts Neues erfinden. Wenn man meint, die Taktik entscheidet ein Spiel, dann ist das nicht so. Ein Spiel entscheidet sich im Kopf, über die Zweikämpfe.“

„Ich war ja nie dabei, wegen dieses einen Scheiß-Länderspiels“

Ein harter Zweikampf ging auch der Entscheidung voraus, eine Nominierung der holländischen Nationalmannschaft anzunehmen. Gegenspieler war sein Vater, ein Holländer. Lippens selbst ist in Deutschland geboren und aufgewachsen und wäre daher für beide Länder spielberechtigt gewesen.

„Mein Vater hatte halt dieses Ehrgefühl und den Nationalstolz der Holländer. Da musste ich mich beugen und für Holland spielen. Und für die Holländer war ich trotzdem kein richtiger Holländer. Mein Vater war eben so. Wenn man zweimal in der Woche abgeführt wird und kriegt in irgendwelchen Kellern von Leuten in schwarzen Ledermänteln mit langen Stöcken den Arsch verhauen, dann ist das nicht angenehm und man hat schon eine Antipathie gegen diese Leute. Dass er da nicht begeistert war, dass ich mit dem Pleitegeier auf der Brust spielen sollte, klar. Da brauchte ich gar nicht mehr nach Hause zu kommen. Später war ich dann natürlich sehr frustriert und habe die Weltmeisterschaften überhaupt nicht verfolgt. Ich war ja nie dabei, wegen dieses einen Scheiß-Länderspiels - wenn Du schon mit dem Dingen umgehen kannst und nicht zu den Schlechtesten gehörst… Da ist man schon sauer, wenn sich die anderen präsentieren können.“

Schade, dass Lippens nie für den DFB spielte — vielleicht hätte sich Sepp Maier zu einem Spektakel sondergleichen hinreißen lassen. Abstoß, Maier spielt auf Lippens am Sechzehner, der passt zurück.

„Das hatten wir vereinbart, als wir in Ferntal eine Tennishalle eingeweiht und danach noch ein Gläschen getrunken haben. Ich hatte im Spiel ja dann auch gerufen „komm, lass doch gehen!“ Aber er hat es dann doch nicht gemacht. Das wäre was gewesen. Natürlich hätte ich den Ball dann auch zurückgespielt, es gibt ja auch keine andere Alternative.“

Was bleibt? Für die mit nur einem Länderspiel eher überschaubare internationale Karriere des Willi Lippens jedenfalls nur eine mögliche Erklärung. Als Nikotinjunkie Cruyff in der Kabine zu seinen Fluppen greift, setzt Lippens mit Vollspannstoß und kernigem „Hier wird nicht geraucht!“ diesem Ansinnen und seiner Länderspielkarriere ein Ende. Kein Zweifel, so muss es gewesen sein.