Spielszene

Deutsche Panzer gegen brasilianische Sangeskunst

Samba-Scheisse

Und ewig rumpelt die Samba-Kapelle — vom Mythos des „Brasilianischen Fußballs“

Am 8. September traf Deutschland auf Brasilien, Anlass war die „Einweihung“ des renovierten Berliner Olympiastadions, Ergebnis war ein 1:1 dank streckenweise ansehnlichen Spiels der Deutschen und eines betont demütigenden Freistoßes Ronaldinhos. Ein Freundschaftsspiel, das unentschieden endete — nichts weiter also, über das man größeres Aufhebens machen sollte, soweit daheim das Teewasser nicht schon bei 65°C überkocht. Doch es gibt ja noch das ZDF, das sich mit seinen Fachkräften Poschmann, Cerne und Kerner schon lange hart am Rand der Zurechnungsfähigkeit bewegt. Sie sehen ihre berufliche Mission vor allem in der Reproduktion von Klischees; als „Experte“ willfährt ihnen dabei F. Beckenbauer, Hohepriester der Papierform von Ewigkeit zu Ewigkeit. Immer und immer und immer wieder raunen diese von der individuellen Klasse der Brasilianer und dass jene unausweichlich toll seien usw. usf.

Individuelle Klasse jedoch war in jenem Spiel zu sehen, als Ronaldinho einmal den ruhenden Ball trat und bei zwei oder drei Aktionen Ronaldos (der an guten Tagen tatsächlich Klasse hat, nicht wegen seiner Tricks, sondern seiner enormen Schnelligkeit). Ansonsten der ad nauseam bekannte Betonfußball der „Seleção“ (K. Augenthaler), dazu Stockfehler der Brasilianer en masse, nicht zuletzt der „Superstars“ (alle, immerzu) Ronaldinho und R. Carlos.

„Und ewig rumpelt die Samba-Kapelle“

Und stets ist die Rede von „Samba“, ein Irrtum, der größer nur schwerlich sein könnte, denn die „Samba“ — die Metapher wurde für die unerhörte Spielweise der Weltmeistermannschaft von 1958 geprägt — bieten die Brasilianer nun seit mindestens einem Jahrzehnt nicht mehr, eher Sicherheitsfußball in unterschiedlichen Ausprägungen. Die Pressbengel mit dem schlechten Gedächtnis erinnern sich noch nicht einmal der Pein, die Trainer Zagallo den Zuschauern im WM-Finale 1994 bereitete (0:0 nach Verlängerung, keine nennenswerten Torchancen). Und im Endspiel 2002 war es einer der „Individualisten“ (R. Völler), der entscheidend wirkte, Ronaldo nämlich mit seinen zwei Treffern. „Zauberfußball“, „Brasilianisches“ war nicht zu sehen.

Das mag man ihnen nicht zum Vorwurf machen, schließlich erreichten und gewannen sie die Endspiele stets vergleichsweise ungefährdet. Das endlose Rekurrieren aber auf jenes Klischee vom Überragendes leistenden Brasilianer nervt nicht weniger als die ewigen „Panzer“-Tiraden, die die deutsche Presse nur scheinbar entrüstet, vielmehr genüßlich zu zitieren nicht müde wird:

„Die Fußball-Welt muss dem fünffachen Weltmeister für diesen Sieg über Deutschland im großen Finale 2002 auf ewig dankbar sein. Denn es war der Sieg der brasilianischen Schule, der Schule der Technik, des Talents und der Kreativität über die Schule der steifen Hüfte, des Kampfes mit dem Ball und der physischen Kraft, ohne Zweifel die Schule des Mannschaftsspiels, aber ohne eine einzige Spur von Begabung.“

So damals die brasilianische Zeitschrift „O Globo“. Tatsächlich war die deutsche die weitaus inspiriertere Mannschaft gewesen, B. Schneider narrte R. Carlos und Cafú geradezu nach Belieben, Brasilien bedurfte eines bis heute unbegreiflichen Schnitzers des Titans O. Kahn, um in Führung zu gehen. Unklar bleibt, was der Verfasser des oben Zitierten während des Spiels getan oder zu sich genommen haben mag. Immerhin wirken die Protagonisten des ZDF demgegenüber weitgehend drogenfrei (von Kristin Otto, der ZDF-Drogenbeauftragten, weiß man das zumindest ganz genau).

„‚Brasilianisch‘ ist, wenn ein Deutscher mit der Hacke ins Aus spielt“

Hernán Cortés konnte 1519 mit einem Haufen von Desperados Mexiko mit seinen an die Zehntausende zählenden Heeren unterwerfen, weil die Azteken ihn für ihren Gott Quetzalcoatl hielten. Der sollte einer Prophezeiung zufolge blasshäutig und mit Bart aus dem Osten zurückkehren. Wie stark ist die Macht des Klischees von den Zauberern vom Zuckerhut? Ist es nicht schon Aberglaube, wenn nach Meinung der Kerners ein Bolzer vom Betze zwangsläufig unterlegen ist, sobald einer kaffeebraun und mit Überbiss daherkommt?

Die Frage, ob einer wie J. Baptist Kerner selbst an den Stuss glaubt, ist nur schwer zu beantworten. Einerseits wirkt seine Ahnungslosigkeit so echt, dass man nur schwerlich an eine Simulation glauben mag. Andererseits ist er Zyniker durch und durch, dem jede noch so dummdreiste Pointe über eine sportliche Beobachtung geht. Roberto Carlos' angeblicher Schenkelumfang von 58 Zentimetern und dessen vor Jahren gegen Frankreich um die Ecke geschossener Freistoß entlocken Kerner 2004 noch einen Jauchzer, unabhängig davon, dass Carlos seitdem auch einem unaufmerksamen Beobachter lediglich durch haarsträubende Grätschen und Fehlpässe aufgefallen sein dürfte. Allein, es spielt keine Rolle.

„Weißbrote in Kanariengelb“

Und was auch richtig nervt an den Brasilianern, das sind nicht ihre Erfolge oder ihre schlechte Angewohnheit, Beinschüsse mit Sport gleichzusetzen; nein, es sind die hiesigen Jungs in den Brasilien-Trikots, diese Weißbrote mit ihren sich darunter befindenden Plauzen und ihren Slackerfrisuren, die damit beweisen zu müssen meinen, dass sie vom Fußball Ahnung haben und Nonkonformisten sind, den eigentlichen, den „spielerischen“, den „wahren“, ja den „linken“ (L. C. Menotti) Fußball, die „Samba“ eben, zu goutieren verstünden. Werch ein Illtum.

Passend dazu die „Samba“-Kapellen auf der Tribüne, denen die Organisatoren an jenem Tag einen ganzen Block zugewiesen hatten. Die breitärschigen Kreuzbergerinnen und Wilmersdorfer nervten mit dem importierten vermeintlichen Brauchtum, ihrer Auffassung von „Rhythmus“, gar „Kultur“ ja schon beim Berlin-Marathon an jeder Ecke, nun trommelten sie auch im Fernsehen, stundenlang. Obwohl es andererseits zu begrüßen ist, wenn das gewöhnliche Berliner Fußballpublikum, der nölende Bolle-Berliner aus dem Wedding und die pöbelnde Glatze aus Hellersdorf nicht zu hören sind.

Und überhaupt: „Hier ist was los in Berlin!“, so J. Baptist Kerner angesichts der Einblendung von F. Beckenbauer, G. Schröder und werweißichnoch auf der Tribüne. Bzw. „Da geht doch was!“ (ders., passim). Hass.

Tobias Pfaff